Es kommt alles anders als
man denkt…
Tagebuch, Mailkontakt mit
Familie und Freunden, Skypetelefonate, Blogeinträge, Rundmails… das sind alles
Dinge, die sehr viel seltener entstehen, stattfinden als ich mir das so
vorgestellt habe. Wieso? Nicht dass es nichts zu erzählen gäbe, keine Zeit ist
auch nicht so ganz das richtige. Ich glaube mir fällt es einfach unglaublich
schwer, weil ich das Gefühl habe, nicht an zwei Orten gleichzeitig sein zu
können. Jetzt bin ich hier in Argentinien, wohne, lebe, arbeite hier. Ich fühle
mich wohl, mir geht es gut, es ist mein Zuhause (für eine begrenzte Zeit aber
es ist mein Zuhause). Und jedes Mal, wenn ich Kontakt zu Deutschland habe,
zieht es mich irgendwie immer noch ein bisschen wieder zurück in mein „altes
Leben“ in Deutschland. Abgesehen davon, dass sich das Leben immer verändert,
bin ich gerade in einer Situation, wo die Veränderung vielleicht noch etwas
intensiver ist. Wer bin ich? Wo bin ich? Was will ich? Klingt ein bisschen wie
eine Generalüberholung des Lebens! Vielleicht muss ich erst diese
Generalüberholung vornehmen, um ein anderes Verhältnis zu meinem Leben in
Deutschland zu bekommen. Ich meine es ist zwar richtig, dass ich jetzt gerade
hier lebe, dennoch habe ich Familie, Freunde, Bekannte in Deutschland, ein
Leben in Deutschland. Das gilt es nicht zu vergessen.
Was ist so in den letzten 2
Monaten passiert?
Wie uns direkt nach dem
Brand der Schule angeboten wurde, haben wir die letzte Zeit in einer anderen
Schule am Nachmittag unterrichten können. Nach anfänglichen
Eingewöhnungsschwierigkeiten in der neuen fremden Schule haben wir uns
schließlich doch alle irgendwie eingewöhnt. Es war für alle schwer. Für die
Kinder, da sie in fremden Klassenzimmern Unterricht hatten, für die Lehrer weil
sie in fremden Klassenzimmern unterrichtet haben und sich dementsprechend nicht
richtig einrichten konnten, für die Eltern weil die Schule weiter außerhalb
liegt. Wir haben uns arrangiert. Nächstes Schuljahr, also März 2013, können wir
nicht mehr in dieser Schule unterricht machen, da wer auch immer beschlossen
hat, eine Stunde länger die Kinder in der Schule zu halten… Eine Stunde alles
nach hinten verschoben, würde bedeuten, bis 19.30Uhr Unterricht zu haben. Das
will keiner. Wir suchen nun ein Hostel oder ähnliches zur Miete als Zwischenlösung für das kommende Jahr. Auf
lange Sicht ist natürlich immer noch der Wunsch, ein eigenes Gelände zu kaufen
und selber Schulgebäude zu errichten. Das braucht ein bisschen mehr Zeit als
die drei Monate die uns nun bleiben, bis das neue Schuljahr anfängt. Wir hoffen
alle, bis dahin wenigstens ein Gebäude zur Miete gefunden zu haben, damit die
Grundschule vormittags da weiterlaufen kann. Der Kindergarten wird voraussichtlich
noch ein Jahr in El Bolsón neben der abgebrannten Schule weiterlaufen.
Meine Arbeitsbereiche haben
sich auch ein bisschen verändert. Vormittags helfe ich der „Sekretärin“, sie
hat sich ihr Büro in einem der noch stehenden Klassenzimmer neben dem
Kindergarten in El Bolsón eingerichtet, dann bin ich eine Stunde mit im Kindergarten.
Nachmittags fahre ich in die Schule. Die Arbeit im Kindergarten ist super. Das
Ziel ist auch, irgendwann man einen ganzen Tag die Kinder zu begleiten und mit
den etwas größeren Kindern ein bisschen etwas mit Holz zu arbeiten. Die Arbeit
mit der Sekretärin ist mal mehr, mal weniger spannend. Es sind kleine,
unscheinbare Sachen die ihre Wichtigkeit haben, sie aber nicht direkt zeigen
oder für andere zu spüren machen.
In der Schule bin ich nun
eine Woche in einer Klasse und mache den rhythmischen Teil des Unterrichts mit.
Viele Sachen sind ähnlich zu dem, was wir in der Schule auch gemacht haben.
Manchmal habe ich das
Gefühl, bezüglich der Arbeit ein bisschen auseinander gerissen zu sein.
Geographisch wie auch inhaltlich oder menschlich gesehen. Ich arbeite an zwei
verschiedenen Orten, mit drei verschiedenen Gruppen von Menschen und manchmal
fehlt mir eine Verbindung dieser zwei Orte und drei Gruppen. Es handelt sich um
ein und dieselbe Einrichtung und dennoch ist es für mich manchmal sehr
gespalten. Geographisch betrachtet lebe ich in Lago Puelo, der Kindergarten und
das Büro sind in El Bolson, ca 14Km weiter Richtung Norden, die Schule ist auf
halbem Weg und noch etwas weiter Richtung Osten („ Cerro Radal“ falls es jemand
bei Google-Earth nachgucken will ). Wenn ich das alles mit dem Fahrrad fahre,
kommen da so um die 40 Kilometer und zwei Stunden bei rum… Aber zum Glück habe
ich auch oft die Möglichkeit mit jemandem in Auto mitzufahren. Es schränkt mich
zwar immer in meiner Freiheit ein zu fahren wann ich will, aber das nehme ich
dennoch manchmal auf mich da 40 Kilometer jeden Tag einfach viel sind. Auch
wenn ich das Fahrradfahren brauche. Aber in Maße und nicht in Massen!
Nächstes Jahr wird sich
wieder alles ändern. Die Schule wird wieder morgens stattfinden, genauso wie
der Kindergarten. Außerdem wird sie an einem anderen Ort sein, eventuell näher
bei mir zu Hause. Ob es weiterhin eine Sekretärin geben wird steht auch noch in
den Sternen. Es heißt also flexibel und anpassungsfähig bleiben!
Ich wohne immer noch in dem
Hostel in Lago Puelo. Anfangs hatte ich den Wunsch mehr im „Zentrum“ von El
Bolsón zu leben da es näher an der Schule ist und ich dort mehr Leute kannte.
Aber auch dies hat sich geändert, ich habe mein soziales Leben hier in Lago
Puelo aufgebaut und fühle mich in dem Hostel zu Hause. In der letzten Woche bin
ich in ein Zelt umgezogen, da so langsam mehr und mehr Touristen kommen und sie
das von mir belegte Bett brauchen. Ich liebe das Leben im Zelt! Erstens ist es mehr wie mein eigenes Zimmer,
die letzten eineinhalb Monate habe ich mir das Zimmer mit einem anderen jungen
Mann geteilt, was auch kein Problem war. Dennoch ist ein eigenes Zelt mehr wie
mein eigenes Reich und es ist ruhiger als im Hostel, auch kann ich mich mehr zurückziehen,
wenn ich mal keine Menschen/Touristen mehr sehen kann (hauptsächlich Israelis
weil Ghila, die Besitzerin, hebräisch spricht). Jetzt wo der nahende Sommer ab
und an schon deutlich zu spüren ist (wir hatten schon mehrere Tage mit 30°C)
ist es auch nicht mehr so kalt; obwohl es in der Nacht bis Januar noch frieren
kann! Wenn ich schon mal beim Wetter bin: bis jetzt hatte ich glaub ich
ziemlich Glück. Gestern und Heute hat es seit fast 2 Monaten mal wieder richtig
geregnet! Abgesehen davon, dass es dann auch mal dringend nötig ist genieße ich
doch auch einfach gerne die Sonne und die Wärme. Mit meiner Wohnsituation in
dem Hostel die mich immer mit Reisenden in Kontakt bringt, werde ich somit auch
des Öfteren auch in Urlaubsstimmung versetzt. Ganz angenehm muss ich sagen! Und
jetzt kann ich es auch quasi schon fast voll auskosten dieses Gefühl. Gestern
hatten wir den letzten Schultag, heute ist Feiertag und morgen das Fest zum
Jahresabschluss. Danach habe ich 6 Wochen Ferien! Ich bin gespannt, wohin es
mich da verschlägt… Ich habe schon ein paar Ideen, aber nichts ist sicher.
Vielleicht geht es eine Woche nach Puerto Madrin, dann geht es Anfang Januar
mit Sicherheit nach Buenos Aires zum Zwischenseminar mit den Freiwilligen aus
Argentinien, Chile und Uruguay und im Anschluss ist die Idee, weiter Richtung
Norden zu reisen.
Vor einer Woche war mein 21.
Geburtstag. Ich wage fast zu sagen, dass es die schönste Geburtstagsfeier seit
langem war die ich hatte! So ein Frühlings-/Sommergefühl verändert doch schon
einiges! 20° C, Sonne, grüne Bäume, Blumen, Farben, Leben auf der Straße…!
Wunderbar. Vormittags habe ich freibekommen, habe in der Zeit 4 Torten gebacken
(Danke Mama für das Rezept!) die ich nachmittags mit in die Schule genommen
habe um mit allen Klassen meinen Geburtstag zu feiern. Es war super schön!
Viele Kinder haben mir was gebastelt, ein Bild gemalt, für die Lehrer hatte ich
im Vorhinein für jedes meiner durchlebten Lebensjahre eine kleine Anekdote
aufgeschrieben die sie dann in einer kleinen Geschichte verpackt erzählt haben.
Mit Hilfe von Mama und Papa habe ich auch für jedes meiner Lebensjahre etwas
gefunden. Ich war zwischendurch echt überrascht, was ich schon alles gemacht
habe!
Abends kamen dann ein paar
Freunde zu mir nach Hause, dazu waren noch diverse Touristen da, sodass wir so
um die 25 Personen waren. Wir haben draußen gesessen, Pizza gebacken, Rotwein
getrunken, Torte gegessen, Mate getrunken… es war ein schöner Tag! Gestern ist
auch das Päckchen von meiner Familie angekommen! Ich habe mich sehr gefreut!
Der 21. Geburtstag ist ein
besonderer Geburtstag. Es ist ein Wandel im Leben. Trifft sehr gut auf mich zu!
Ein Wandel des Körpers, des Geistes, des Lebens… Das ist jetzt alles sehr
schwammig, kann alles und nichts heißen. Im Konkreten meine ich mit Wandel des
Körpers eine Veränderung in Richtung etwas mehr Weiblichkeit. Ich lerne
Flamenco, lasse mir die Haare lang wachsen, habe etwas mehr Kurven bekommen
(gut darüber lässt sich jetzt auch streiten ob man das weibliche Kurven nennt
oder einfach ganz spröde: Ich habe 8 Kilo zugenommen… ;)). Das Leben hier hat
einen anderen Rhythmus an den ich mich anpasse oder angepasst habe.
Selbstbewusstsein, Vertrauen in das Leben, in das was ist, was kommen wird. Wie
ich ja schon ganz zu Anfang geschrieben habe: Generalüberholung.
Wenn ich jetzt so darüber
nachdenke, kommt mir der Gedanke, dass die ganzen Krankheiten die ich hier
schon so hatte, auch Teil dieses Wandels sein könnten. Wie selten bin ich in
Deutschland wirklich krank! Hier hatte ich schon eine ordentliche Erkältung (
in dem Zusammenhang kam auch die chinesische Medizin zum Einsatzt, dessen
Auswirkungen auf einem der Fotos zu sehen sind; es war ein
Marmeladenglasdeckel!), Fieber, mehrere Tage Übelkeit und zur Zeit plage ich
mich mit einem „Ausschlag“ im Gesicht rum. Angefangen hat es mit Herpes (was
ich auch noch nie hatte), dann hat es sich auf die Wange ausgebreitet, auf die
andere Wange, ans Kinn… Da ich zu spät mit Kamillentee und Teebaumöl angefangen
habe, nehme ich jetzt Antibiotika, da der Ausschlag so langsam auf andere Teile
meines Körpers übergeht. Die Ärztin sagt, es ist eine entzündete Wunde, in dem
Stadium hilft nur noch Antibiotika. Geschmackssache aber nach einer Woche und
es wird immer noch immer schlimmer habe ich mich dann doch dazu durchgerungen,
auf Antibiotika umzusteigen.
Der Wandel der Jahreszeiten,
der Kulturen, die extreme Sonne, das Wasser, das Essen… dazu kommen seelische
Ungewissheiten. Alles zusammen macht mich scheinbar sehr anfällig für jegliche
Krankheiten.
Das Leben hier in Lago Puelo
ist alles in allem super ruhig, entspannt, angenehm. Wenn ich mit dem Fahrrad
unterwegs bin benutze ich selten mein Fahrradschloss, fahre gelegentlich Nachts
um 4Uhr alleine 10 Kilometer durchs Nichts nach Hause, wenn ich nicht mit dem
Rad unterwegs bin trampe ich. Manchmal versuche ich mich an die Angst zu
erinnern, die ich in Deutschland und hier in der ersten Woche noch hatte. Oft
einfach nur zum lachen. Allerdings kommt es doch auch vor, dass ich in einer
Nacht nur ein Zimmer getrennt von einem Typen schlafe, der in dieser Nacht
diverse Menschen überfallen und einen davon mit einem Messer übel zugerichtet
hat. Oder wir sind in einer Bar, in der es gelegentlich zu Messerstechereinen
kommt. Und wenn ich jetzt daran denke, nach Buenos Aires fahren zu müssen,
schlottern mir schon ein bisschen die Knie. Da wird mit Sicherheit ein anderer
Mambo getanzt als hier im Örtchen! Und wir haben während unserem Seminar ein
Hostel im Zentrum vom Zentrum von Buenos Aires…! Das wird noch mal ein
Riesenwandel vom Dorfleben in die Großstadt.
Vor einer Woche war ich seit
langem wieder in Bolsón im großen Supermarkt. Und ich habe meinen Augen nicht
getraut! Draußen 30 Grad und der Supermarkt ist voll von Weihnachtsmännern,
Lichterketten, Plastikweihnachtsbäumen, Glitter, Weihnachtsgebäck, Pan Dulce,
Budin…. An sich genau wie in
Deutschland, nur dass daneben Kirschen, Erdbeeren, Himbeeren verkauft werden
und vor der Tür der schönste Sommer im Anmarsch ist. Ein lustiges Gefühl!
Ich lasse euch jetzt erst
mal etwas Zeit zum lesen. Ich hoffe die vielen Buchstaben und Worte auf einem
Haufen wirken nicht abschreckend und haben den Effekt, dass ihr gar nicht erst
anfangt zu lesen!
Sommerliche grüße in die
verschneite Heimat!!!
Un abrazo
Alma
Liebe Alma,
AntwortenLöschenvielen Dank für deine neue Veröffentlichung, ich hatte mir schon richtig Gedanken gemacht ob bei dir alles in Ordnung ist, aber ich kann auch verstehen, wenn du nicht immer Lust zum Schreiben hast.
Jetzt wünsche ich dir erst einmal eine wunderschöne Weihnachtszeit - die ja total anders verlaufen wird - und einen guten Rutsch in neue Jahr.
Ich werde im nächsten Jahr den portugiesischen Jakobsweg bis Finisterre laufen, sind aber nur ca. 340 km. Noch einmal alles Gute und Liebe aus der fernen Heimat und lass es dir gut gehen.
Gisela